Verlustangst

Nahezu jeder Borderliner leidet unter unglaublicher Verlustangst.
Doch warum ist das so?

Hierzu sollte man sich die Kindheit und Jugend der betroffenen Personen genauer ansehen.
Meist sind hier Dinge passiert, welche uns sehr geprägt haben und uns zu dem gemacht haben was wir nun sind.
Hier kann ich einige Dinge aus meiner Kindheit erzählen an die ich mich sehr deutlich erinnere und die ich zu den Mitauslösern meiner Verlustangst zähle.

Die erste wirkliche Erinnerung habe ich an einen Vorfall, bei dem meine Eltern zum Einkaufen fuhren.
Ich muss zwischen 4 und 5 Jahre alt gewesen sein, da wir damals noch in dem kleinen Dorf gegenüber der Kirche gewohnt haben. Ich hatte plötzlich panische Angst, dass meine Eltern einen Unfall gehabt haben könnten und nicht mehr wieder kommen. Sie waren wahrscheinlich gar nicht lange weg aber es fühlte sich für mich kleines Kind an wie eine Ewigkeit.
Die Panik wuchs immer weiter und ich fand mich schließlich schluchzend und zitternd auf der Treppe neben der Haustüre wieder. Meinen türkisen Teddybären hielt ich fest umklammert, so als könne er mich beschützen falls Mama und Papa tot sind. Da ging plötzlich die Türe auf und meine Eltern waren wieder da.

Als ich ungefähr 11 Jahre alt war hatten meine Familie und ich wohl eine der schlimmsten Nächte in unserem Leben.
Wir fuhren von einem Besuch aus der Pfalz bei meiner Großmutter wieder nach Hause. Es war eiskalt und schneite wie verrückt. Ausgerechnet bei diesem Wetter blieb unser Auto mit einem Motorschaden liegen.
Es dauerte ewig bis der ADAC kam und uns mitsamt Auto nach Hause brachte. Da es schon mitten in der Nacht war steckten meine Eltern mich direkt nach der Ankunft ins Bett und ich bekam nicht mehr mit was in dieser Nacht noch Schreckliches passierte. Als ich am Morgen danach aufwachte war ich allein zuhause. Das hat mich schon unglaublich erschreckt.
Mein Bruder lebte in dem Stockwerk über uns und ich bin nach oben gegangen weil ich nicht wusste wo alle sind.
Ich hatte schreckliche Angst, dass etwas passiert war. Es war etwas passiert. Mein Vater hatte in dieser Nacht vier schwere Herzinfarkte und lag auf der Intensivstation. Damals durfte Kinder noch nicht einfach auf die Intensivstation und so konnte ich nicht zu ihm. Das einzige was nach einiger Zeit ging war über die Gegensprechanlage mit ihm ein paar Worte wechseln.
Uns wurde gesagt, dass er es nicht überleben würde. Er solle nach Hause gehen und sich dort von seiner Familie verabschieden. Ich hatte wahnsinnige Angst. Er hat dank einer tollen Klinik doch noch viele Jahre überlebt, aber die Angst wurde nicht weniger durch diese Geschehnisse.

Ich dachte es würde nicht schlimmeres mehr in meinem Leben passieren als das. Falsch gedacht.
Mit 13 Jahren war ich wieder einmal alleine zuhause und meine Eltern waren unterwegs als das Telefon klingelte.
Meine Tante war am Apparat und da außer mir keiner da war erzählte sie mir vom Tod meiner Cousine.
Nadine und ich waren aufgewachsen wie Schwestern. Sie war körperlich und geistig von Geburt an schwer behindert aber da
wir gleich alt waren und einfach miteinander aufwuchsen störte uns das nicht. Wir verbrachte unglaublich viel Zeit miteinander und meine Mutter behandelte sie wie ihr eigenes Kind. Sie war gerade einmal 12 Jahre alt als sie in der Schule zusammenbrach und starb. Die Todesursache war ein Aneurysma. Ihr ist sozusagen die Halsschlagader geplatzt und sich verblutete innerlich. Ich bin zusammengebrochen und es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis meine Eltern nach Hause kamen.
Wieder hatte sich die Angst einen geliebten Menschen zu verlieren weiter verstärkt.

Zwei Jahre später erlebte ich meine erste große Liebe, wie fast jeder Teenager wohl in diesem Alter.
Unsere Väter waren Arbeitskollegen und wir gingen auf die gleiche Schule. Alles fühlte sich toll an und natürlich bildet man sich in diesem Alter ein, dass hält für die Ewigkeit. Und es hielt auch immerhin bis zu meinem 18. Lebensjahr.
Da endete es allerdings mehr als unschön während eines Abends in der Dorfdisko. Ein mir völlig fremder junger Typ erklärte mir, dass ich meinem bis dato Freund nicht mehr auf die Nerven gehen solle, da dieser sich nun in einer neuen Beziehung befinden würde. Ich blickte mich um auf der Suche nach ihm, wir waren schließlich noch gemeinsam hier her gekommen, wie sollte er denn nun plötzlich eine Andere haben?! Da stand er, gehässig grinsend mit einem Mädchen aus der Parallelklasse im Arm. Alles begann sich zu drehen, mir wurde schlecht und ich verlor das Bewusstsein. Nach einiger Zeit kam ich wieder zu mir, jemand hatte mich auf einen Stuhl gepackt und mir eine Cola bestellt. Es tat einfach nur weh wieder einen geliebten Menschen verloren zu haben.

Auch in den nächsten Partnerschaften und meinen beiden Ehen ging es immer wieder um Betrug.
Ich erinnere mich an keine Partnerschaft in der mein Partner treu war.
Ich dachte wirklich, dass es keinen treuen Menschen auf der Welt gibt.

Der Punkt, der meine Verlustangst endgültig durch die Decke gehen ließ wurde während meiner letzten Ehe nach 11 Jahren Beziehung erreicht. Mein Exmann betrog mich mit mindestens 6 anderen Frauen, unter anderem sogar mit Prostituierten auf Puerto Rico. Und dass sind nur die Frauen von denen ich weiß, wahrscheinlich waren es noch weit mehr. Er hatte den Plan gefasst, mich so lange zu drangsalieren, bis ich entweder komplett verrückt werde oder mir das Leben nehme. In jedem Fall wollte er sich mein Haus und alle Wertgegenstände vorher unter den Nagel reißen.

Wie man sieht ging es in meinem Leben schon immer nur um Lug und Betrug, um Tod und das Verlassenwerden.
Wen also wundert es, dass ein Bordi wie ich unter einer sehr ausgeprägten Verlustangst leidet?

Wichtig ist, dass man sich in solchen Situationen immer fragt, ob man gerade mit seinen Gefühlen in der Gegenwart ist oder im alten Erleben feststeckt.
Sind es alte Dämonen, die einen quälen oder wird man akut von Verlust bedroht?
Und falls es ein akutes Geschehen ist, wie schlimm wird mich dieser Verlust treffen?
Es gibt einen Unterschied zwischen Verlassenwerden und der Zeit, die ein Mensch einfach ab und zu gerne mit sich selbst verbringen möchte.
Will mein Gegenüber Zeit ohne mich oder Zeit für sich?
Das ist eine wichtige Frage die man sich stellen sollte.

Holger zum Beispiel nimmt sich gerne eine Auszeit im Kloster um sich zu sammeln und Kraft für den Alltag zu schöpfen.
Das hat aber nichts damit zu tun, dass er mich los haben möchte oder keine Zeit mit mir verbringen will.
Er vermisst mich genauso sehr wie ich ihn und trotzdem ist es manchmal wichtig Zeit für sich selbst zu haben.

Die Angst verlassen zu werden, hat auch viel mit dem eigenen Selbstwert zu tun.
Als Borderliner hält man sich in der Regel nicht für besonders toll, so kann man sich eben auch nur sehr schwer vorstellen, dass ein anderer Mensch einen toll finden kann. Und doch ist es einfach so.

Das zu akzeptieren ist die große Challenge.
Jeder von uns ist liebenswert.

One Comment
  1. AnunymusMarci

    Hallo Christin,
    Das war ein sehr lehrreicher Artikel ich habe selber Eltern die unter borderline leiden und ganz viel Verlust Angst haben jetzt kann ich verstehen warum. Es tut mir echt leid was alles in deinem Leben passiert ist und ich wünsche dir alles gute.
    VG AnunymusMarci

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